Ich liebe Mode, schon immer. Aber schon bald reichte es mir nicht mehr, mir die neuesten Fashionshows im Internet anzusehen und Zeitschriften zu lesen – ich wollte alle Hintergründe kennen, die Abläufe verstehen und Teil dieser Modewelt sein. Ich entschied mich, den ersten Schritt zu tun und meine größte Leidenschaft zum Beruf zu machen.
Im Kolleg für Mode und Design an der Herbststraße lernt man vieles. Man lernt wie man Oberflächen durch Sticken, Stricken, Färben und Druck verändert, man lernt Abläufe korrekt und präzise zu planen und sogar, wie man sein eigenes Label buchhalterisch über Wasser halten kann. Außerdem lernt man Nähen, vor dem ich wahrscheinlich am meisten Respekt hatte, in Anbetracht meiner nicht vorhandenen Vorkenntnisse. Doch allen voran lernt man, dass es in der Mode um so viel mehr geht, als um das, was man als erstes sieht. Es ist nicht diese stumpfe, aufgesetzte Scheinwelt, die so viele abwertend als „oberflächlich“ bezeichnen. Ernsthafte Mode hat fast schon etwas mit Kunst zu tun, ist hintergründig und interessiert einen auf so vielen Ebenen. Sie ist durchdacht und facettenreich – für mich ist Mode der schönste Ausdruck des Zeitgeists.
Eine gute Kollektion erzählt eine Geschichte. Vielleicht ist sie sehr konzeptionell aufgebaut, vielleicht ist sie sehr zurückhaltend oder opulent und schreiend laut. Sie will anregen, unterhalten oder schockieren. Doch eines ist immer gleich: der Ablauf, dem man beim Designprozess folgt. Und diesen Prozess zu lernen und ihn sogar umzusetzen war mitunter das Spannendste dieser zwei Jahre. Ich habe Inspirationen gesammelt, Trends recherchiert und alles anhand eines Moodboards festgehalten. Ich habe meine Kollektion skizziert, überlegt welche Teile mir noch fehlen und welche zu viel sind und bin nachts aufgestanden um spontane Ideen festzuhalten. Ich habe die Stoffe ausgewählt und eingekauft und die Schnitte gezeichnet. Und als ich das erste Teil genäht hatte, es vorsichtig in den Händen hielt als ob es beim ersten schiefen Blick gleich implodieren oder sonstiges könnte, ist diese Kollektion irgendwie mein Baby geworden. Ich habe mit ihr geweint und gelacht, war stolz und manchmal wütend auf sie. Ich blieb manchmal bis abends in der Schule, ging müde und merkwürdig zufrieden heim, als es draußen schon dunkel und der Unterricht eigentlich längst zu Ende war. Ich musste wieder und wieder an Schnitten tüfteln, Nähte auftrennen, neues Zubehör kaufen und mich der Erschöpfung stellen. Man ist sich am Schluss nicht mehr sicher, ob man sie liebt oder hasst, ob sie überhaupt gut ist oder ob jemand die kleinen Fehler sieht, die vielleicht passiert sind. Man denkt über das Design nach, findet neue Inputs und glaubt, man würde das nächste Mal alles ganz anders machen. Und dennoch wiegt man jedes Teil im Arm, verstaut es möglichst sicher im Kasten und glaubt am nächsten Tag gar nicht, dass man das tatsächlich ganz alleine erschaffen hat.
Ich kann mich noch genau an den Moment am Abend unserer Abschluss-Modenschau erinnern, als die ersten Takte meiner Musik einsetzten und das erste Model den Laufsteg betrat, in einem Kleid, dass komplett meinen Gedanken entsprungen war. Ein Gefühl, das man vielleicht nicht beschreiben, sondern einfach selbst erleben sollte.
Am Anfang dieser 4 Semester dachte ich mir oft „das brauch‘ ich doch nie wieder“, was eigentlich ein blöder Gedanke ist. Denn egal was man später in der Modewelt machen möchte – ob im theoretischen Bereich oder aktiv als Designer – es ist ein riesiger Vorteil über so viel wie möglich Bescheid zu wissen. Wie ein Gewebe aufgebaut ist z.B., wie sich verschiedenen Stoffe zusammensetzen und wie sie genannt werden. Wo man sich richtig über kommende Trends informiert und wie diese entstehen. Welche Designklassiker es gibt und was es braucht um einen zu kreieren. Wie eine Bluse schnitttechnisch aufgebaut ist und wie man erkennt, ob sie nicht gut sitzt und dies gegebenenfalls ausbessern kann. Die Liste könnte sich noch endlos weiterziehen, aber sicher ist, dass Fachwissen ein großer Vorteil ist, wenn man es nutzt. Ich habe es geliebt, alles über Modegeschichte zu lernen, mehr über große Modeschöpfer zu erfahren und ganze Kollektionen zu analysieren. Es waren die Geschichten, die die Designer erzählten, die ich verschlang und die ein Kleid gleich komplett anders wirken lassen konnten.
Es waren zwei Jahre voller neuer Erfahrungen, Motivation und totaler Ausgelaugtheit. Voller blutender Finger (wortwörtlich), großer Erfolgserlebnisse und hysterischer Lachanfälle/Panikattacken. Und nichtsdestotrotz, jedes Semester wurde mir mehr und mehr bewusst, dass ich den richtigen Weg gefunden habe. Ob ich nun den Geschichten anderer zuhöre oder sogar selbst welche erzähle bleibt mir überlassen.